Theaterkunst Talk
Stefanie Bieker
Aktuell ist die Dokumentation „Ich bin! Margot Friedländer“ in der ZDF-Mediathek zu sehen. Erzählt wird die Lebensgeschichte der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer (*5.11.1921). Ihre Interviewaussagen bilden den Leitfaden des Films. Inszenierungen von entscheidenden Momenten ihrer ungewöhnlichen Lebensgeschichte werden eingebettet in zeitgenössisches Film- und Fotomaterial. Kostümbildnerin Stefanie Bieker und ihr Team haben eine Vielzahl an Kostümen für die szenischen Darstellungen des Doku-Dramas in unserem Fundus geliehen.
Stefanie Bieker ist nach einer Ausbildung zur Theaterschneiderin sowie einem Studium als Gewandmeisterin seit 1994 als Kostümbildnerin für Kino und TV erfolgreich. Für den deutsch-norwegischen Kinofilm „War Sailor“ gewann sie in diesem Jahr den Norwegian Amanda Award (Amanda Prisen) in der Kategorie „Bestes Kostümbild“. Sie war zudem in den Jahren zuvor für den Deutschen Filmpreis und den Dänischen Filmpreis nominiert und erhielt den Europäischen Filmpreis.
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Theaterkunst
Stefanie Bieker
Was war für dich und dein Team das Besondere am Projekt „Ich bin! Margot Friedländer“?
Das Dokudrama (Regie: Raymond Ley, Buch: Raymond Ley zusammen mit Hanna Ley) zeigt neben Archivbildern aus den Jahren 1939-1945 und Ausschnitten aus dem New York der 90er Jahre inszenierte Szenen als ein Mosaik der Erinnerungen. Diese fiktionalen Momente folgen im Drehbuch den Erinnerungen Margot Friedländers an ihr Leben als junge Frau und Jüdin im Nazi Deutschland, ihrer Zeit im Untergrund und ihrem Überleben in Theresienstadt. Mit dem Dokudrama einen Bezug zum Heute herzustellen und keine musealen Bilder mit der damit einhergehenden Distanz zu erzeugen, war die besondere Aufgabe auch für das Kostümdesign. Durch die spezielle Kostümgestaltung sollte eine visuelle Verbindung zwischen Dokumentation und Fiktion hergestellt werden. Raymond Leys Idee, auf das Gesicht und die Kostüme der Schauspielerin (Julia Anna Grob) Archivbilder zu projizieren, verbindet diese Ebenen. In allen Momenten hat Margot Friedländer den Verhältnissen zum Trotz eine unglaubliche lebensbejahende Kraft. Ihr Appell eines friedlichen Miteinanders ist so aktuell wie nie.
Es gab zum Beispiel ein privates Foto, das sie im Untergrund mit Kreuz und nach der Nasenoperation zeigt. Diesen Kleidungsstil habe ich für den Abschnitt ihres Lebens im Untergrund aufgegriffen.
Wie hast du dich auf das Thema Kostümbild für das Doku-Drama vorbereitet? Konntet ihr euch vorab mit Margot Friedländer treffen und auf privates Fotomaterial von ihr zurückgreifen?
Ja, mit Beginn der Vorbereitung begann eine breit gefächerte Recherche, uns kamen viele Fotos sehr modern vor. Es werden unbekannte Lebensabschnitte von Margot Friedländer zum Beispiel über ihr Mitwirken in der Kostümabteilung des jüdischen Kulturbundes gezeigt. Dort ist sie auch als Statistin in verschiedenen Produktionen aufgetreten. Dank der wunderbaren Mitarbeit von Nikola Fölster und ihrer detaillierten Recherche fanden wir im Archiv der Akademie der bildenden Künste Berlin viel Bildmaterial zum jüdischen Kulturbund.
Was waren die besonderen Herausforderungen für das Kostüm-Department?
Im Fokus der inszenierten Szenen stehen die Menschen in ihren Kostümen und erzählen über jedes Detail die jeweilige Epoche, ob die bunte Welt des Theaters hinter den Kulissen in Theaterkostümen oder die Entbehrungen in den Verstecken im Untergrund in ausrangierten übergroßen geliehenen Patchwork-Kleidern. Die Gestaltung der Kostüme für diese Szenen, ohne dass ihnen der Staub der Schränke und die Bügelfalten der Reinigungen anhängen, und historische Kostüme glaubhaft zu modernen Gesichtern, Haltungen und Bewegungen anzupassen, ist eine schwierige Aufgabe und wird sehr unterschätzt. Das bedeutet Schnitte und damit Bewegungsfreiheit sowie Materialien für die modernen Seh- und Tragegewohnheiten anzupassen. Ohne die gute Zusammenarbeit innerhalb des Kostümdepartments bestehend aus Recherche und Fachberatung, Kostümassistentinnen und Setkostüm-Kolleginnen, Gewandmeistern und Schneiderinnen und die wichtige Arbeit der Textile Artists, Constanze Schuster und Stefan Heinrichs, die alle Kostüme vor den Dreharbeiten durch das Einarbeiten von realistischen Gebrauchsspuren zum Leben erweckt haben, wäre diese Aufgabe nicht zu realisieren gewesen.
Für „War Sailor“ hast du im Sommer den norwegischen Amanda Prisen für das „Beste Kostümbild“ gewonnen. Was macht die Kostüme bei diesem Film so authentisch?
Auch für „War Sailor“, der nun auch als Mini-Serie auf Netflix zu sehen ist, habe ich sehr lange recherchiert. Am Anfang einer erfolgreichen Zusammenarbeit steht immer das Vertrauen in jedes Department. In Norwegen arbeiten die Departments sehr eigenverantwortlich, der Regisseur Gunnar Vikene hat mir viel Freiheit gegeben, um eine Bildsprache für die „textilen Architekturen“ der individuellen Charaktere zu entwickeln, und ich hatte auch dort ein wunderbares Team von Spezialisten, um die Kostüme für sehr außergewöhnliche Schauspieler*innen zu gestalten. Die norwegische Produzentin und der Produzent aus Malta haben mich im Laufe der langen Produktionsphasen sehr unterstützt. Originale Arbeitskleidung der Maschinisten, Techniker, Offiziere und Matrosen wurde selten aufbewahrt, wir haben daher den Großteil der Arbeitskleidung für die Sailor angefertigten müssen. Das Gefühl von „authentisch“ entsteht, weil die Schauspieler*innen von den ersten Leseproben an die für sie entwickelten und angefertigten Kostüme, die durch die Mischung originaler, teils zweckentfremdeter gebrauchter Materialien und Schnitte ein Gefühl der 40er Jahre entstehen ließen, für sich „erobert“ haben. Gleichzeitig transportierten die Kostüme die jeweilige Profession und ihre Funktionalität. Anproben und Charakterfindung gingen Hand in Hand, über die Suche der passenden Schuhe und Mützen bis zum kleinsten Detail wie einem Ring oder kratzenden Socken, die mit traditionellen Strickmustern aus bestimmten Regionen die Füße der Sailor in ein norwegisches Heimatgefühl versetzten.
Zeit ist bei allem ein entscheidender Faktor! Frühzeitig mit der Vorbereitung als Costume Designer im Team zusammen mit Regie, Kamera, Production Design, Make Up Artist und dem VFX Supervisor das individuelle Gesamtkonzept zu erarbeiten. Dies ist meiner Meinung nach eine wichtige Voraussetzung für eine stimmige Bildsprache eines Films als Gesamtkunstwerk. In Dänemark ist dieses gemeinsame Konzipieren ein wichtiger Bestandteil der Film-Förderung in der Projektentwicklungsphase. Dieses Vorgehen spart Geld, Zeit und CO2.
Wie wichtig ist der Aspekt „grünes Kostümbild“ für dich und welche Rolle spielt ein Fundus dabei?
Der Fundus ist ein wichtiger Partner in Bezug auf den CO2-Abdruck, den unsere Arbeit hinterlässt. Nun muss ich wieder politisch werden: Wenn man ernsthaft von grünem Drehen sprechen möchte, sollten zunächst die Filmfördergesetze ein Bonussystem für ortsansässige Verleiher etablieren. Wir erleben ein Fundussterben in Deutschland, weil sich kleine Firmen die immens gestiegenen Mieten und laufenden Kosten nicht leisten können. Diese Firmen ebenso wie traditionelle Handwerksbetriebe gilt es zu unterstützen, weil sie nachhaltig arbeiten und ausgezeichnet qualifiziert sind. Für mich als Kostümbildnerin ist die Vielfalt der Quellen und die freie Auswahl für die Realisation der Projekte entscheidend. Während der Vorbereitung von „War Sailor“ galten die Reisebeschränkungen der Corona-Maßnahmen. Wir hatten das Glück bei all diesen schwierigen Vorgaben, die Anfertigungen in Deutschland herstellen zu können. Das bedeutete kurze Wege der persönlichen Kommunikation, schnelle Reaktion auf veränderte Vorgaben, Hand-in-Hand-Arbeiten aller Gewerke vor Ort. Das spart Ressourcen, Zeit und letztendlich auch Geld.
Kannst du uns schon was über dein aktuelles Filmprojekt erzählen?
Ich setze mich sehr dafür ein, eine nachhaltige Struktur für die qualifizierte duale Ausbildung für die einzelnen Berufe im Kostümdepartment in Deutschland aufzubauen. Die Sichtbarkeit und Akzeptanz unseres Departments im Gesamtgefüge des Filmteams beginnt mit einer guten Qualifikation in den einzelnen Bereichen, wie Setkostüm, Kostümassistenz und Kostüm-Supervisor.
Mit Hilfe des VSK, des Verbandes der Berufsgruppen Szenenbild und Kostümbild, haben wir eine Initiative zur Nachwuchsförderung für Filmberufe (IN FILM) gegründet und sind auf dem Weg, zusammen mit anderen Verbänden konkrete Konzepte für duale Ausbildungen für Filmberufe zu erarbeiten. Das braucht viel Zeit und persönlichen Einsatz.
Ich möchte auch an dieser Stelle alle Kollegen*innen einladen, Mitglied des VSK zu werden, um Austausch und Unterstützung unter Kollegen*innen zu erfahren und um langfristig gemeinsam unsere Sichtbarkeit und die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Was wünscht du dir in Zukunft für die Vorbereitung deiner Projekte?
Wunderbarerweise konnten wir das Projekt Margot Friedländer in den Räumlichkeiten der Theaterkunst vorbereiten. Durch die gute Infrastruktur und Unterstützung seitens der Mitarbeiter*innen konnten wir die Anprobenphasen bewältigen. Herzlichen Dank an dieser Stelle!
Ich würde mir wünschen, dass die Sender und Produzenten im Vorfeld ihrer Produktionen die Expertise der Fachleute, der Heads of Department, in ihre Kalkulationen miteinbeziehen. Dann wäre die Diskrepanz der Erwartungen an uns kreativen Gewerke gegenüber der Realität der Budgets nicht so groß. Und dass wir in der Vorbereitungszeit alle Informationen haben, die wir benötigen, um unsere Arbeit gut zu bewältigen. Das finge mit stimmigen Maßzetteln an…
Macht dir dein Beruf nach 30 Jahren immer noch Freude?
Ja, unbedingt. Es ist die Liebe zum Detail, die Möglichkeit aus genauen Beobachtungen von Bildern und Menschen all ihre Geschichten zu Kostümen zu verflechten.
Vielen Dank für das Interview und bis bald in der Theaterkunst!
Bis bald!