Theaterkunst Talk

Maria Schicker

Maria Schicker und die Theaterkunst! Es ist Freundschaft. Seit vielen Jahren ist sie unserem Haus verbunden. Mal mit schillernden Projekten wie der Ku’Damm Reihe, mal mit Wendethemen wie in „Honigfrauen“ oder auch mit Kriminalstoffen wie „Das Geheimnis des Totenwaldes“.

Mehrfach nominiert für den „Deutschen Fernsehpreis“ gewann sie 2021 für „Das Geheimnis des Totenwaldes“. Für den „Emmy Award“ und den „Costume Designers Guild Award“ gab es ebenso mehrfache Nominationen. Ihre Kostüme wurden in zahlreichen internationalen Ausstellungen gewürdigt.

Das Projekt „Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“ ist ein Film übers Sterben, über die Begleitung bis in den Tod und auch über Nachbarn, die nur das Beste wollen. Wir haben die Romanvorlage von Susann Pásztor gelesen und hatten dabei stets die Protagonistin Iris Berben vor Augen.

© 2021 Bavaria Fiction / Nadja Klier

Theaterkunst

Maria Schicker

Ihr Filmprojekt „Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“ unterscheidet sich stark von zum Beispiel der Ku’Damm Reihe. Was hat Sie bewogen, die Arbeit an diesem wirklich beeindruckenden Thema anzunehmen?

Ich freue mich immer über Angebote mit Relevanz und Tiefe. Bücher, die etwas zu sagen haben, mich inspirieren, zum Nachdenken anregen, auf den Punkt: Die einfach gute Geschichten erzählen. Die Bavaria Fiction habe ich bei „Das Geheimnis des Totenwaldes“ kennen- und schätzen gelernt. Produktionsleiter Frank Lübke war wieder am Start, ich achte seine Teamarbeit sehr und Doris Zander ist eine vorausschauende und motivierende Produzentin.

Iris Berben als Karla begleiten wir in den letzten Wochen ihres Lebens bis zum Tod. Wie sind Sie hier an das Thema Kostüm herangegangen?

Ähnlich der Astrid Kirchherr, welche ihr ganzes Leben lang Rockstars fotografierte, soll sich auch im Charakter der Karla die Fülle des Erlebten im Kostüm widerspiegeln. Als Fotografin war sie immer mit Musikern unterwegs und hat sich auch automatisch so gekleidet. Codewörter waren für mich Astrid Kirchherr, Patti Smith, Linda Ronstadt, Rosen Cash, Janis Joplin, Abbey Road, Sergeant Pepper, Udo Lindenberg, die Stones …

Ihren Kleiderschrank habe ich mit Vintage-Stücken und sichtbarer Vergangenheit gefüllt. Die Falten an der richtigen Stelle, die Farben eher müde und das Material benutzt und weich. Schmuck und Accessoires sind zusammengesammelt über die Jahrzehnte, zarte Silberketten mit Anhängern und Geschichten, ein Armreif. All das wird Karla bis zum Schluss begleiten. Unsere Augen wandern übers Kostüm, es ist unaufgeregt und authentisch. Und es entstand so ein sehr persönlicher Look, zart und kraftvoll zugleich.

Sie waren für viele Ihrer Projekte in der Theaterkunst. Was ist für Sie das Besondere an einem Kostümfundus?

Die Theaterkunst birgt für mich eine sehr wertvolle Sammlung an Kostümen und ich empfinde es als einen enormen Reichtum, dass ihr euer Haus hier in Berlin habt. Kollegen und Einkäufer haben für ein Fülle an Kostümen gesorgt. Die Theaterkunst bietet 6 km hängender Ware und zehn Millionen Kostüme… Ich gehe durch die Reihen und Regale, kann meiner Phantasie freien Lauf lassen und entdecke eine Fülle an Kostümteilen. Ich bin immer wieder überrascht und inspiriert und so kann ich, wie ein Puzzle, ein Charakterbild entwickeln.

Sie haben lange Zeit in den USA gelebt und gearbeitet. Wird das Gewerk Kostümbild dort anders wahrgenommen bzw. erhält es dort mehr Aufmerksamkeit?

Costume Designer sind als „gleichwertige Designer“ geschätzt und schaffen in enger Teamarbeit mit Production Designer, Licht, Kamera, Regie etc. ein reiches Bild. Der Stellenwert gegenüber den Darstellern ist beträchtlich. Gemeinsam erarbeiten wir die Basis für ihren Charakter in enger Zusammenarbeit. Das machen wir hier auch, aber es geht einen Schritt weiter, eher vergleichbar mit der Theaterarbeit und dann aber im „Film-Arbeits-Tempo“. Ich merke das immer an den Reaktionen der Theaterschauspieler. Es ist eine positive Überraschung, wenn ich der Charakterentwicklung genug Zeit einräume. Das sollte eigentlich immer so sein.

Und wie unterscheidet sich ein amerikanischer Fundus von einem deutschen bzw. europäischen Fundus?

Inzwischen werden Kostüme auch in Deutschland mit Barcode versehen. In den USA ist das seit Jahrzehnten Standard und jedes Teil wird fotografiert. Selbst kleine Häuser arbeiten so. Damit ist es leicht ein vermisstes Kostüm zu identifizieren und gleichzeitig viel einfacher, den finanziellen Überblick zu behalten.

Dazu kommt, dass die US-Kostümhäuser größer sind, wir so mehr Platz in den Gängen für Garderobenständer und Vorbereitung haben, es wird mehr Manpower eingesetzt und Retouren sind sofort wieder in der Auswahl.

Entscheiden Sie sich auch im Sinne der Nachhaltigkeit zuerst für einen Fundus statt für den Kauf neuer Kleidungsstücke?

Für den Kostümfundus entscheide ich mich wegen der Charakterfindung, aber das Thema Nachhaltigkeit ist mir enorm wichtig. Nach Dreharbeiten an einem modernen Stück gebe ich viele Kleidungsstücke im Anschluss an Bedürftige, denn Verschwendung ist keine Option.

Was möchten Sie angehenden Kostümbildnern mit auf den Weg geben?

Ihr seid nur so gut wie euer Team, lernt euer Handwerk, lernt Teamarbeit, helft euren Kollegen bei Fragen, seid nicht zu früh euer eigener Chef, lasst euch nicht verbiegen, bleibt authentisch und bleibt euer Leben lang neugierig.