Theaterkunst Talk

Nicole Fischnaller

Mit Kostümbildnerin Nicole Fischnaller verbindet uns eine langjährige Zusammenarbeit. Filme und Serien wie „Die Fälscher“, „Munich Games“, „Souls“, „A Most Wanted Man“, „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, „Narziss und Goldmund“ oder auch „Colonia Dignidad – Es gibt kein zurück“ hat sie mit Kostümen aus unserem Fundus ausgestattet.

Am 21.2.24 startet die achtteilige Science-Fiction-Serie „Constellation“ auf Apple+, die uns in die Weiten des Weltalls und in das Leben einer Astronautin mitnimmt. Im All kommt es zu einem schrecklichen Vorfall und Jo (Noomi Rapace) muss nach ihrer Rückkehr auf die Erde erkennen, dass Teile ihres Lebens nicht mehr ihren Erinnerungen entsprechen. Für diese Produktion haben Nicole und ihr Team auf unsere Kostüme vertraut. Wir haben Sie dazu und zu ihrer Arbeit befragt.

© AppleTV

Theaterkunst

Nicole Fischnaller

Das Genre „Science-Fiction“ kam in deiner bisherigen Filmographie noch nicht so oft vor. Wie hast du dich dieses Themas genähert und welche Kostüme hast du ausgewählt?

Die Serie ist keine Science-Fiction, sondern spielt 2022. Es ist ein Psycho-Drama über ein psychopathologisches Syndrom, die sogenannte  „High Altitude Psychosis“, welche bei Menschen festgestellt wurde, die lange Zeit in großer Höhe oder im Weltall verbrachten.

Es handelt sich im Fall der Astronautin in „Constellation“ um die Infragestellung der Realität, in die sie nach ihrem langen Aufenthalt auf der ISS zurückkehrt, und ihre Vision einer anderen zweiten Realität, die sie als die Richtigere empfindet. Das bedeutete für uns, dass jeder Charakter der Serie in zwei verschiedenen Realitäten erscheint und durch mal mehr und mal weniger unterschiedliches Kostüm dargestellt wird, also doppelt so viele Kostüme. Man stelle sich allein die Logistik beim Drehen vor :-).

Worauf musstet ihr bei der Anfertigung der Raumanzüge achten?

Die Anforderungen an die Raumanzüge waren extrem hoch. Zunächst galt es, sie so exakt wie möglich den auf der Internationalen Raumstation ISS verwendeten Raumanzügen nachzuempfinden. Man entschied sich bei den Anzügen für den Sojus Flug zu und von der ISS für die russischen Sokols, die ich nach einem Original, welches ich bei einem Sammler in Dresden gefunden hatte, nachbauen ließ. Bei den EVA suits (d.h. extravehicular activity, also für Einsätze außerhalb der ISS im Weltall) sollten es die russischen Orlans sein, die es in keinem Verleih der Welt gibt. Diese wurden nach Dokumentationen und unendlich vielen Research-Bildern der echten Anzüge nachgebaut.

Dabei spielte das Gewicht – der Korpus bestand aus Fiberglass / Aluminium – eine immense Rolle. Es fanden viele Stunden Training mit dem Konstruktions-Team und dem Stunt-Team statt, bis die Darsteller sich darin bewegen und verständigen konnten. Verkabelt wurden die Anzüge natürlich auch, um gute Innenbeleuchtung, Belüftung in den Helmen sowie ein Communication System bereitzustellen. Und nicht zu vergessen der größte Spaß: Zero Gravity! Jedes Kostüm auch innerhalb der ISS wurde geriggt und mit bis zu 12 Löchern für die pick points (Aufhängungen) versehen.

Ihr seid mit der Produktion durch halb Europa gereist: Berlin, Brandenburg, Dänemark, Ostsee, Finnland und Marokko. Wie hast du dein Kostüm-Team zusammengestellt, um diesen großen Organisationsaufwand gut zu meistern?

Vor allen Dingen war es ein sensationelles Team! Zunächst war da unser sensationeller Supervisor, der mit Bravour alle Fäden in der Hand hatte. Die Assistenzpositionen haben wir in „Cast reality 1 and 2“, „Spacesuits / Uniforms“ und „Extras“ aufgeteilt. Es gab dann das ISS-Team im Studio, währenddessen hat das Cruiseship-Team die Dreharbeiten auf der Vasco Da Gama von Travemünde nach Helsinki vorbereitet, dann Marokko, wo wir die Landung der Sojus Kapsel in Kasachstan gedreht haben und so weiter. In Finnland haben wir uns lokale Unterstützung dazu geholt. Ich war den Kolleginnen aus Helsinki unendlich dankbar für ihre Erfahrungen mit Temperaturen zwischen -15°C und -30°C !

Du kommst für deine Projekte immer wieder in unseren Fundus und lässt Kostüme in unserem Atelier anfertigen. Was ist für dich das Besondere an einem Kostümhaus?

Ich komme tatsächlich seit den späten 90ern in die Theaterkunst und habe über die Jahre diese wirklich einzigartige, tolle Sammlung fast jeder Epoche kennen und schätzen gelernt. Besonders in der 70er und 80er, aber auch 20er bis 40er Abteilung findet man absolute Design Raritäten mit musealem Wert, die fast zu schade sind, um irgendwann mal abgetragen zu sein! Ein weiteres Juwel ist die unvergleichliche Bibliothek, mit Hilfe derer jede Recherche um einiges fundierter wird, so dass besonders die Anfertigung historischer Kostüme nicht zuletzt durch die unglaublich sachverständige Werkstatt zum Erfolg eines Projektes beiträgt.

Hast du das Gefühl, dass sich der Nachhaltigkeitsgedanke in deinem Gewerk in den letzten Jahren verändert hat?

Auf jeden Fall! Ich suche für Projekte, bei denen es möglich ist, immer zuerst in den diversen Kostümsammlungen. Inzwischen gibt es aber auch so viel mehr Möglichkeiten, wirklich tolle Vintage-Kleidung zu finden, anstatt alles neu anzuschaffen. Viele der Gewerkenden sehen das ähnlich. Unbestritten bringt ein Vintage-Kleidungsstück schon von vornhinein einiges mehr an Geschichte und Charakter mit.

Hand aufs Kostümherz: historisch, zeitgenössisch oder Science-Fiction?

alles 🙂

Danke dir und bis bald!

Ich danke euch für euren unermüdlichen Einsatz!