Theaterkunst Talk

Gabriele Binder

Die Berlinerin Gabriele Binder zählt seit vielen Jahren zu den Stammkundinnen unseres Kostümhauses. Sie ist für nationale sowie internationale Produktionen bekannt, zu denen u.a. „Das Damengambit“, „Die Dasslers – Pionier, Brüder und Rivalen“, „Das Leben der Anderen“ und auch der deutsche Oscar-Anwärter von 2018 „Werk ohne Autor“ gehören. Ihre Arbeit wurde u.a. mit dem Emmy Award und dem Costume Designers Guild Award ausgezeichnet.

Im Mai 2024 startet ihr aktuelles Projekt „Young Woman and the Sea“ in den US-Kinos. Basierend auf einer wahren Begebenheit, wird die Geschichte von Gertrude “Trudy” Ederle (Daisy Ridley) erzählt, die gegen alle Widrigkeiten und Anfeindungen einer patriarchalischen Gesellschaft in der olympischen Schwimmmannschaft aufsteigt und ihr Ziel verfolgt, die 21-Meilen-Strecke des Ärmelkanals von Frankreich nach England zu schwimmen.

Copyright: Disney, Netflix, privat (Portrait)

Theaterkunst

Gabriele Binder

Im Mai startet „Young Woman and the Sea“ in den amerikanischen Kinos. Was ist das Besondere an diesem Film, der in den 20er spielt?

„Young Woman and the Sea“ spielt von 1915-1926. Für die Kostümarbeit war es spannend, dass der Film in die Zeit der „Erfindung“ des Badeanzugs“ fällt. Erfindungen in der Mode gibt es ja eigentlich gar nicht. Es ist eher eine Entwicklung, in der die Mode von Badebekleidung zu Schwimmbekleidung wechselt, also von aufwendigen Strandkleidern zu sportlichen Einteilern. Noch in den 1910er Jahren war schwimmen fast ausschließlich Männern vorbehalten. Als das Schwimmen für Frauen Anfang der 20er Jahre zur Sportdisziplin wurde, trugen die ersten Schwimmerinnen fast die gleichen Anzüge wie die Männer. Es gab also eine kurze Unisexphase in einer Zeit, in der Kleidung ansonsten sehr geschlechtsspezifisch war. Außerdem war es ein erster großer Schritt aus der Prüderie, die Frauen verbot, nacktes Bein oder Oberarm zu zeigen. Modisch gesehen war es eine Zeit des Aufbruchs und „Young Woman and the Sea“ thematisiert dies auch.

Natürlich war es für mich auch interessant, deutsches Einwandererleben im New York von 1915-1925 zu recherchieren, denn Trudy Ederle wurde zwar in New York geboren, aber ihre Eltern sind erst kurz zuvor aus dem badischen Raum in die USA immigriert und lebten im deutschen Viertel in Brooklyn. Daraus ergab sich eine interessante Mischung aus leicht missverstandener amerikanischer Mode, die wir mit ländlicher deutscher Bekleidung mischten. Das erlaubte uns eine gewisse Freiheit und Vielfältigkeit, besonders im Hintergrund, den Christian Binz (Crowd Costume Supervisor) mit kreativer Hand und großem Know-How gestaltet hat.

Eine große Herausforderung war, dass das Projekt in Bulgarien realisiert wurde, aber einen amerikanischen Disney-Anspruch hatte…da prallten Welten aufeinander.

Wir erinnern uns, dass du für diesen Film vor allem zum Thema „Bademode der 20er Jahre“ in der Theaterkunst recherchiert hast. Hast du die gewonnen Informationen in das finale Kostüm einfließen lassen?

Oh ja, eure Bademodenabteilung war eine große Freude für uns. Ihr habt ja noch zahlreiche interessante Wollmodelle der Firma Jantzen, die tonangebend in USA in der Zeit war. Es hat uns sehr geholfen, dass wir sie nicht nur auf Fotografien gesehen haben, sondern die dicken Wollmaterialien anfassen konnten und vor Ort überlegt haben, wie wir dem Look treu bleiben, ohne dass die schwere des Materials das Schwimmen be- oder verhindert.

Die Kostüme der Netflix-Serie „Das Damengambit“ haben international für viel Aufmerksamkeit gesorgt und wurden mehrfach ausgezeichnet. Was macht das Kostümbild so besonders?

Ich glaube, dass „Das Damengambit“ ein Projekt war, bei dem einfach so vieles gestimmt hat: inspirierendes dichtes Script, einfühlsamer Regisseur, der auch Showrunner war. Totales Vertrauen und freie Hand seitens Netflix. Ein hochmotiviertes deutsches Team, durchweg fantastischer Cast und natürlich Anya Taylor-Joy, die ein echtes Geschenk für das Kostümbild ist, weil sie die Kostüme so ausgelebt und geliebt hat. Insgesamt war es eine unglaublich respektvolle und positiv ausgerichtete Zusammenarbeit, die mir großen Freiraum geschenkt hat und ich hatte ein tolles Team, das immer versucht hat, jede Idee umzusetzen. Ich glaube, dass das Kostüm einfach nur ein Teil war, der auch in der Geschichte gestimmt hat. Ich selbst war unglaublich überrascht und erfreut über die große Aufmerksamkeit. Es ist ja ein Film über Schach, also doch eher ein Nischenthema.

Welche Rolle spielt ein Kostümfundus für deine Arbeit? Hast du das Gefühl, dass das Gewerk sein Potenzial beim Thema Nachhaltigkeit ausschöpft?

Die Fundis sind die wichtigsten Player für historische Filme, aber auch für zeitgenössische Projekte gehe ich wahnsinnig gerne dorthin. In einem guten Fundus hängt ja schon vorausgesucht kamerataugliche Kleidung und man findet oftmals Dinge, die es auf dem freien Markt nicht mehr gibt. Insgesamt erleichtert es die Arbeit immens. Es sind Orte der Recherche! Bei euch ist es natürlich besonders erfreulich, dass ihr noch so viele Originalstücke aus früheren Zeiten und in gutem Zustand habt und man findet auch gute Anfertigungen, da die Originale ja oft nicht mehr den heutigen Größen und Körperformen gerecht werden. Aber trotzdem sind sie so wichtig als Schnitt- und Verarbeitungsvorlagen, um ein authentisches Bild anderer Zeiten wieder aufleben zu lassen. Bei euch hilft auch die sehr gute Sortierung nach Zeiten und Größen, um in kurzer Zeit eine Auswahl zusammenzustellen. Ich mag es, wenn ich die Jahrzehnte vor meiner Spielzeit nochmal sehen kann, um ein fundiertes Gefühl für eine Zeit zu gewinnen, ohne tief in die Recherche zu gehen.

Und selbstverständlich ist es nachhaltiger, Kostüme zu leihen als zu kaufen. Die Nachhaltigkeit liegt in der Bewahrung und Mehrfachnutzung, das steht außer Frage.  

Du hast auch deinen eigenen Fundus „Comme de costume“ und kennst die Arbeit als Kostümbildnerin sowie als Fundusinhaberin. Was sind deine Erwartungen an einen Fundus?

Ein guter Fundus ist ein Ort der Inspiration, wo man nicht nur das findet, was man sucht, sondern auch Dinge, von denen man noch gar nicht wusste, dass man sie vielleicht braucht. Ein Ort der hilft, dass das Kostümbild am Ende attraktiv und überraschend ist.

Vielen Dank für das Interview!

Ich danke euch! 🙂